Video Natalia Mikhaylova
Wo:Strelitzer Str. 58, 10115 Berlin
Wann:Donnerstag, 15.09.2022, 19:00

Marianna Kijanowska

Stolperstein in der Strelitzer Str. 58

Fritz Heilscher wurde am 2. Oktober 1898 in Berlin geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre begann er 1920 eine Ausbildung als Tänzer am Deutschen Opernhaus in Berlin. 1923 startete er seine künstlerische Karriere als Solotänzer am Opernhaus in Breslau und nannte sich fortan Ferry Dworak. Von 1926 bis 1930 war er Ballettmeister am Städtischen Theater in Chemnitz, 1931 Solotänzer am Stadttheater Dortmund. 1932 wechselte er als Choreograph ans Badische Landestheater Karlsruhe, wo er mit eigenen Choreographien hervortrat und trotz eines ersten Strafverfahrens wegen homosexueller Beziehungen weiterbeschäftigt wurde. 1933 ging er ans Schlesische Oberlandestheater in Beuthen (Bytom), wo er zwei Jahre als Ballettmeister wirkte. Im April 1935 wurde er vom dortigen Landgericht wegen seiner Liebe zu Männern zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Gleichzeitig erfolgte sein Ausschluss aus dem Künstlerverband, was einem Berufsverbot gleichkam. Nach seiner Entlassung ging Fritz Heilscher zurück nach Berlin. Hier fand er eine Anstellung als Lagerarbeiter in einer Firma für Reitstiefel, wo er als geschätzter Mitarbeiter eine neue Existenz fand. Ende 1941 wurde er erneut verhaftet und wegen seiner Zuneigung zu jungen Männer zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafjustiz lieferte ihn im Anschluss daran der Kriminalpolizei aus, die seine Einlieferung ins KZ Sachsenhausen veranlasste. Nach zwei Monaten kam er dort während der Mordaktion an Homosexuellen im Klinkerwerk des Lagers am 21. Juni 1942 ums Leben.

Andreas Pretzel Quelle

Gedichte von Marianna Kijanowska

Marianna Kijanowskas Gedichtband „Бабин Яр. Голосами“ [Babyn Jar. Stimmen] (Kiew 2017) zum Massaker von Babyn Jar 1941 wurde bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Wir veröffentlichen fünf Gedichte in deutscher Übersetzung von Claudia Dathe

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тільки зараз можу про це сказати
ніколи не думав що крематорій це світло
зараз коли минула вічність і трохи часу
у великому і малому ковшах
я вернувся в дитинство і знову вперше погладив кота
якого тато приніс від сусідів
а бабуня нехама сказала: нехай
нехай ростуть собі одне коло одного
тільки зараз я вперше збагнув і досвідчив
що крематорій це світло
заподіяне мені в сорок третьому році
всепожираюче і страшне
і тільки зараз можу про це сказати
або ще тільки зараз можу про це сказати
що коли в сорок другому в нас стріляли із кулемета
я встиг дорахувати до тисячі ста двадцяти восьми
тисяча сто двадцять вісім ішли з і мною
тисяча сто двадцять вісім зі мною впали
сам я зробився як динаміт і вибухнув
сам присипав усіх землею і сам проріс
майже посеред я там де вода вимила вирву
отож тисяча сто двадцять дев’ять просте число
я собі просто
майже на дев’ятнадцять хвилин зробився числом
тисяча сто двадцять вісім секунд, не знаю чи жив
не знаю чи дихав повернувся в небо в дитинство
тільки зараз можу про це сказати
брат Леві кричав дивися дивися які черешні
він стріляв кісточками у мене а я у нього
досі у грудях пече досі я і шелещу і шумлю вкорінений
тільки зараз можу про це сказати
або не так і тільки зараз можу про це сказати
ми спочатку всі довго йшли а тоді зупинилися
минула вічність і ще трохи часу
відтак нам сказали що дехто як не дивно вцілів
я також уцілів вижив
а тепер кажу вам один єврей
написав „Голокост“ після Голокосту                           я
тільки зараз                                                        можу про це сказати
тільки зараз можу про це сказати
тільки зараз можу про це сказати
тільки зараз можу про це сказати
тільки зараз можу про це сказати                              бо
тільки зараз можу про це сказати
                                                                                                    свідчу

jetzt erst kann ich darüber sprechen
ich habe nie gedacht dass krematorium licht heißt
jetzt wo es eine ewigkeit und noch ein bisschen länger her ist
in der großen und der kleinen schaufel
bin ich in die kindheit eingegangen und habe noch einmal die katze gestreichelt
die mein vater von den nachbarn geholt hatte
großmutter nechama sagte: lass sie
lass sie ruhig zusammen groß werden
jetzt habe ich zum ersten mal verstanden und erfahren
dass krematorium licht heißt
das mich dreiundvierzig genötigt hat
verzehrend und grausam
und jetzt erst kann ich darüber sprechen
oder jetzt endlich kann ich darüber sprechen
dass ich als sie zweiundvierzig mit dem maschinengewehr auf uns gefeuert haben
immerhin bis eintausendeinhundertachtundzwanzig gekommen bin
eintausendeinhundertachtundzwanzig sind mit mir gegangen
eintausendeinhundertachtundzwanzig sind mit mir gefallen
ich bin dynamit geworden und explodiert
ich habe erde über alle geworfen und bin ausgebrochen
bald in der mitte der schlucht wo das wasser den krater ausgespült hatte
eintausendeinhundertneunundzwanzig ist eine einfache zahl
ich bin einfach
für bald neunzehn minuten zu einer zahl geworden
eintausendeinhundertachtundzwanzig sekunden weiß ich nicht ob ich lebe
weiß ich nicht ob ich atme in den himmel in die Kindheit eingehe
jetzt erst kann ich darüber sprechen
mein bruder levi hat geschrien die kirschen, schau mal was für kirschen
er hat mich mit kernen beschossen und ich ihn
jetzt noch brennt es in der brust ich raschle und rausche verwurzelt
jetzt erst kann ich darüber sprechen
oder anders und jetzt endlich kann ich darüber sprechen
erst sind wir ziemlich lange gelaufen und dann stehengeblieben
eine ewigkeit und noch ein bisschen länger hat das gedauert
dann haben sie uns gesagt dass manche wie durch ein wunder entkommen sind
auch ich bin entkommen habe überlebt
und jetzt sage ich ihnen ein jude
hat „Holocaust“ nach dem Holocaust geschrieben               ich kann
jetzt erst                                                                                     darüber sprechen
jetzt erst kann ich darüber sprechen
jetzt erst kann ich darüber sprechen
jetzt erst kann ich darüber sprechen
jetzt erst kann ich darüber sprechen                                           denn
jetzt erst kann ich darüber sprechen
                                                                                                            ich bezeuge

***
у мене куля під язиком точніше гільза присмак металу
дає від чуття перетворень небо стає звичайним мені відікритим
як жилка під шкірою б’ється серце от б’ється серце собі помалу
не бійся тільки не плач кажу йому ти мусиш дихати говорити
вони викрикують шнеля шнеля а йти так важко і особливо
йти коли знаєш що це вже все і запах смерті всотався в струпи
на тілі рани вони не гояться і взагалі це насправді диво
що я ще здатен переступати робити кроки довкола трупи
різних людей переважно босі взуття знімають з усіх убитих
я звик очей тепер не відводжу і навіть іноді хочу знати
чому наприклад стріляли в спину жінці яка хотіла любити
тому ·що жінка хоче любити а над то якщо любить співати
цей дим попереду сап пожежі і знову тіло лежить дитина
отут я мушу відвести очі дитина дуже мала без мами
я може взяв би її на руки та зараз кожна моя хвилина
як куля під язиком точніше як цвяшок в серці іду слідами
єзекеїля арона ори адама міхи єгуди сари
вони відразу переді мною ступають в небо кудись за хмари

unter meiner zunge liegt eine kugel genauer eine hülse geschmack von metall
sie gibt das gefühl von verwandlung der himmel kommt mir entgegen
wie eine ader unter der haut schlägt das herz so schlägt das herz vor sich hin
hab keine bange wein bloß nicht sage ich zu ihm du musst atmen reden
sie schreien schnella, schnella dabei fällt das laufen so schwer besonders
das laufen wenn du weißt das war‘s und der geruch des todes frisst sich in die krusten
auf dem körper die wunden sie heilen nicht und es ist ein wunder
dass ich überhaupt das bein heben schritte machen kann überall leichen
von allerlei menschen barfuß fast alle sie streifen den getöteten die schuhe ab
ich kenne es schaue nicht mehr weg und manchmal möchte ich sogar wissen
warum sie zum beispiel eine frau hinterrücks erschossen haben die lieben wollte
weil eine frau lieben will vor allem wenn sie gern singt
dieser rauch da vorn röchelndes feuer da liegt noch ein körper ein kind
da muss ich doch wegsehen ein ganz kleines kind ohne mutter
vielleicht hätte ich es hochgenommen und jetzt ist mir jede minute
wie eine kugel unter der zunge genauer wie ein nagel im herz ich gehe auf den spuren von
hesekiel aron ora adam micha jehuda sara
direkt vor mir treten sie in den himmel hinter die wolken da

***
я би вмерла на вулиці цій або тій що за рогом
та конвой не дозволить здається проси не проси
у валізі не те щоби речі збиралась в дорогу
як збираються люди в дорогу в останні часи
тільки ключ і листи фотографії брошка і гроші
ну не те щоби гроші всього лише кілька банкнот
ми бредемо по куряві літній немов по пороші
оминаючи вирви тіла і сліди нечистот
увірвалися в дім наказали все цінне узяти
я взяла теплий плед трохи хліба і трохи води
а есесівець крививсь віспаво на вбогість кімнати
що запалася раптом в ніщо як і я назавжди
а тепер я іду назавжди розумію і бачу
всю приреченість нашу крізь світла щільного ясу
я би вмерла на вулиці цій і тому я не плачу
а валізу на брук опускаю ім’я лиш несу
я рахиля

ich wäre auf dieser straße gestorben oder auf der ums eck
aber im konvoi geht das nicht du brauchst nicht zu bitten
im koffer sind keine normalen sachen ich habe genommen
was man eben so braucht auf dem gang in den letzten tagen
schlüssel und briefe fotos eine brosche und geld
kein richtiges geld bloß ein paar scheine
wir ziehen durch den sommerstaub wie durch asche
umgehen krater körper und spuren von unrat
sie fielen ins haus ein nehmt die wertsachen haben sie befohlen
ich nehme eine warme decke bisschen brot bisschen wasser
der esesmann verzieht das pockengesicht zum ärmlichen zimmer
das plötzlich einsackt für immer wie ich
und jetzt gehe ich für immer verstehe und sehe
uns ganz ausgeliefert im licht der dichten scheide
ich wäre auf dieser straße gestorben und deswegen weine ich nicht
den koffer stelle ich auf dem pflaster ab ich trage nur meinen namen
ich bin rahel


***
в яр кажуть ті що зі зброєю тим що без неї
ми ведемо вас а далі побачите далі
буде багато цікавого ноги у глеї
зламані ребра й ключиці розірвані~
місце щоб одяг знімати коштовності речі
треба складати охайно окремо каблучки
упереміж між молодшими зовсім старечі
голі тіла чорні садна скривавлені пучки
я вже не той що колись або просто без віри
втратив їі ще тоді як мене врятували
все що я можу позбутися зрештою шкіри
щоб переповнитись болем страждання зухвале
це не про нас ми страждаємо хрипко і тупо
кожен самотній і кожен для власного тліну
прихисток має і час що відміряний скупо
знають усі нас усіх переб’ють до коліна
я не боюся ні кулі ні справді нічого
біль я і більше ніж біль ця погода осіння
тяжко лиш те що не встиг попрощатися з б-гом
отже потрібно повірити хай без спасіння

in die schlucht sagen die mit den waffen zu denen ohne
wir führen euch hin und dann werdet ihr sehen dann
kommt viel interessantes beine im sumpf
zertrümmerte rippen und schulterknochen zerrissene schals
ein platz um die kleider abzulegen die wertsachen
fein säuberlich getrennt die absätze für sich
die jungen dazwischen die hochbetagten
nackte körper schwarze wunden blutige kuppen
ich bin nicht mehr der alte oder bloß ohne glauben
den habe ich schon früher verloren als sie mich retteten
jetzt kann ich mich nur noch meiner haut entledigen
um schmerz aufzusaugen und dreistes leiden
es geht nicht um uns wir leiden heiser und dumpf
jeder für sich und jeder hat für die eigene fäulnis
eine zuflucht und zeit die knapp bemessen ist
sie kennen uns und töten uns ausnahmslos alle
ich habe keine angst vor einer kugel oder etwas anderem
schmerz bin ich mehr als schmerz das herbstliche wetter
hätte ich gott doch lebewohl gesagt
so muss ich glauben ohne rettung

Video Natalia Mikhaylova

***
я все ж таки це промовлю я все ж таки це прийму
сказавши і не сказавши неначе ввійду у море
війна означає безвість і болю страшну пітьму
і ще означає відчай і голе коротке горе
я був на дніпрі учора насправді не на дніпрі
а просто здаля дивився на води його і хвилі
горіло рудаве листя дерев і човни старі
ховалися під водою і гнили і чайки білі
даремно шукали свідка на свій непташиний крик
оплакуючи рибалок і просто загибель міста
і я заридав нелюдськи та був прикусив язик
а зараз я це промовлю: присутність завжди двоїста
просвердлені намистини ми: хтось кулею наскрізь хтось
нанизані намистини ми і жодна не є окремо
і сонце стоїть так високо немов воно піднялось
щоб місто згори побачити і як ми у ньому мремо
і як ми у ньому ходимо дивитися на ріку
тому що нас убивають аделька мір’ям дебора
лежать у яру розстріляні я маю печаль таку
що серце зробилось каменем і стала душа прозора
і тоншає все і тоншає а це означає смерть
і сутність її двоїста бо смерть це насправді разом
з аделькою і деборою з мір’ям доки неба твердь
і доки дніпро і кручі у досвідах поза часом

ich sage das noch ich nehme das noch an
gesagt und nicht gesagt als ginge ich ins meer
krieg heißt fremde gefilde und schmerz schreckliches dunkel
und heißt auch verzweiflung und nackten kurzen kummer
ich war gestern am dnipro eigentlich nicht am dnipro
habe einfach aus der ferne auf wasser und wellen geschaut
das rötliche laub der bäume brannte und die alten boote
lagen unter wasser und faulten und die weißen möwen
suchten vergeblich einen zeugen für ihren vogelfremden schrei
beweinten die angler und einfach das verderben der stadt
und ich schluchzte abmenschlich und biss mich auf die zunge
und jetzt sage ich: die anwesenheit ist immer doppelt
durchbohrte kettenglieder sind wir: durchbohrt von der kugel oder
aufgereihtes glied und keiner ist für sich
und die sonne steht so hoch als wäre sie aufgestiegen
um die stadt von oben zu sehen und wie wir darin sterben
und wie wir zum fluss gehen zum schauen
weil wir getötet werden adelka miriam debora
liegen erschossen in der schlucht ich bin so traurig
das herz ist ein stein und die seele ist durchsichtig
und wird dünner und dünner und das heißt tod
und sein wesen ist doppelt denn der tod ist eigentlich zusammen
mit adelka und debora mit miriam so lange der himmel steht
und der dnipro und die steilhänge in den erfahrungen jenseits der zeit

Marianna Kijanowska und Claudia Dathe im Gespräch mit Boris Schumatsky

Video Natalia Mikhaylova




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